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Sing a song in der Presse

Sing a song in "Lied und Chor"
(Ausgabe April 2000)

Das war der Artikel:

"Sing a Song" - ein Sängerkranz von 1877 wandelte sich zum Erfolgschor 2000

Blättern Sie bitte noch einmal zurück bis zum Titelbild dieser Ausgabe: Fröhliche Mienen, bunte Kostüme (passend zu den Klängen des Musicals "Hair"). Sieht so ein angeblich "sterbender" Chor aus, bildet man so das vielbeschworene "Sterben" der Chortradition ab? Oder geht es wieder nur um einen der mehr oder weniger gelungenen Versuche, mit bunter Farbe und buntem Tuch etwas Frische aufzutragen auf die Runzeln einer vergehenden Kulturtradition?
Karlfried Olbert hat das Titelfoto geschickt und ebenso das Bild auf dieser Seite. Olbert lebt in Helmstadt, einem Ort mit der Postleitzahl 74921. Er ist Realschullehrer irn nahen Obrigheim mit den Fächern Musik und Englisch. Und er leitet seit 25 Jahren Chöre - derzeit vier an der Zahl, darunter schon seit 20 Jahren den Gesangverein Sängerkranz Frohsinn 1877 Obrigheim e.V.
Die Geschichte, die Olbert ,erzählt, könnte zugleich die Geschichte zahlreicher Chorvereine mit ähnlicher Tradition sein.

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Und der Weg, den die (Obrigheimer in Richtung auf die Zukunft eingeschlagen haben, ist zumindest eine Diskussion wert: Wahrscheinlich beschreibt Dirigent Olbert eine mögliche Chance, Chöre auf neue gesellschaftliche Bedingungen und damit auf die veränderten Bedürfnisse potentieller Chormitglieder einzustellen. Ein weiteres diskussionswürdiges Beispiel folgt am Schluß des Berichts.
Als Karlfried Olbert vor 20 Jahren beim Sängerkranz antrat, fand er eine lebendige Gemeinschaft vor. Der Dirigentenwechsel löste, wie häufig auch anderswo, eine zusätzliche Blüte aus. Mit 70 Sängerinnen und Sängern wurde der gemischte Chor aus Obrigheim zu einem der größten im Sängerkreis Mosbach.
Doch die Zeiten wandelten sich. 1998 bestand der Chor gerade noch aus 45 Aktiven. Sie waren zwischen 50 und 80 Jahren alt. Der Vorstand und viele Mitglieder versuchten, Freunde, Nachbarn und entferntere Bekannte per Mundpropaganda an den Chor heranzuführen. Es gab eine Werbeaktion, selbst Hausbesuche fanden statt. Aber, so Chorleiter Olbert: "Es tat sich wenig".

Neue Wege oder das "Sterbeglöcklein"

Trotzdem mochte sich insbesondere der Vorsitzende Ernst Rau nicht mit dem Gedanken abfinden, dass diesem verdienstvollen Verein in den kommenden Jahren allmählich das Sterbeglöckchen läuten sollte. Rau,  Olbert und ihre Familien nutzten einen gemeinsamen Urlaub zur Suche nach Erklärungen und nach neuen Wegen.Die Analyse, die dabei her- auskam: "Es müsse hauptsächlich an der typischen Gesangvereinsliteratur liegen, die die noch Aktiven aber sehr liebten." Die Crux: "Versuche neue Literatur, auch mal ein englisches Lied, zu singen, wurden sehr ablehnend, teilweise mit Fernbleiben von der Chor- probe, beschieden. So war das nicht zu machen."
Rau und Olbert verfielen auf einen "letzten Ausweg". Der sah so aus: "Im Verein sollte ein zweiter Chor gegründet werden. Wir entwarfen einen Werbeprospekt, in dem wir unsere Zielvorstellungen konkret angaben:
- Wer zwischen 16 und 60 hat Lust, Lieder aus Musical, Pop, Rok, Folk in Originalsprache zu singen?
- Wer hat Lust zu singen, möchte sich aber auf keine "Vereinsmeierei" (Ständchen, Sängerfeste, zu viele Termine) einlassen? Probetermin montags von 18.30-19.40 Uhr. Jeder kann sich hinterher noch etwas vornehmen. Kommen Sie einfach, ohne Anmeldung, zur ersten Probe. "
Werbeprospekte und ein passendes Plakat kamen in Umlauf, die lokale Presse wies mehrmals auf das Überlebens-Projekt des Traditionsvereins hin.
Vor, dem angegebenen ersten Probe-Termin am 18. Januar 1999 waren alle gespannt. Karlfried Olbert: "Wir rechneten mit 20 Interessenten. in Wirklichkeit aber kamen zur ersten Probe 80 Männer und Frauen im Alter von 16 und 60 Jahren "
Hatte der Verein eine Marktlücke" geschlossen mit seinem "abgespeckten" Vereinsprogramm? Oder würde aus der ersten Neugier bald Normalität werden - und die Zahl der Probenbesucher würde wieder zusammenschmilzen wie das Eis an der Sonne?
Gut ein Jahr danach, am 13. Februar 2000, war diese Frage wohl endgültig beantwortet. Beim sorgfältig vorbereiteten ersten großen Auftritt der neuen Chorformation, die unter dem Namen "Sing a Song" im alten Gesangverein Liederkranz Frohsinn mitwirkt, standen nicht nur 80 Sängerinnen und Sänger auf der Bühne. Inzwischen waren es 103 geworden.
Vor 1400 (!) Zuhörerinnen und Zuhörern sang die neuentstandene Groß-Formation Lieder aus Musicals (Hair, Westside Story, Starlight Express), Folksongs (Greensleeves, Scarborough Fair), aus. Pop und Rock (Eight days a week, Barbar' Ann, The rose, California dreaming). Und nicht nur das. Der Chor, der angetreten war, das nun einmal fast ausschließlich englischsprachige Repertoire des heutigen Publikums- geschmacks zu singen, ging schließlich mit Verve und Sensibilität auch an drei deutsche Volkslieder heran: Auf einem Baum ein Kuckuck, Es hatte ein Bauer ein schönes Weib, Abend wird es wieder. Das Echo muß nach dem Bericht der Lokalzeitung überwältigend gewesen sein: 20 Minuten Dauerapplaus für das Wagnis, das noch ein Jahr zuvor mit viel Vorschuss-Skepsis begleitet worden war.

,Auf den Erfolg noch ein "Nachschlag"

Wie so oft hatte das Konzert einen weiteren Nachhall: Drei Wochen später war die Zahl der Mitglieder von 103 schon auf n u n 112 angewachsen.
"Und was", fragt Dirigent Olbert rhetorisch, "macht der ursprüngliche Chor?"
Seine Antwort: "Nachdem die Sängerinnen und Sänger meist sehr skeptisch der Sache gegenüberstanden, weil sie ihre Felle davonschmimmen sahen und um das angesparte Vereinsgeld fürchteten, hat sich die Situation inzwischen total entspannt. Auch dieser Chor, der sich jetzt "Evergreens" nennt, hat einen kleinen personellen Aufschwung erlebt. " Beide Chöre im gemeinsamen Verein wachsen unter Leitung des gleichen Chorleiters aufeinander zu. Es ist inzwischen möglich, erste Lieder auch gemeinsam zu singen. Doch die Konturen sollen nicht verwischt werden: Wer in Obrigheim lieber die tra- ditionellere Literatur singt und beispielsweise das Englisch bei den scheut, findet sich "Evergreens" gut aufgehoben. "Ich denke," schreibt Karlfried Olbert, "dass unser so erfolgreiches Vorhaben für andere Vereine ein Modell sein könnte".
In einer Zeit, da junge Menschen per Radio, CD-Player und Fernsehen, inzwischen zusätzlich übers Internet, mit den kommerziell vermarkteten Klängen der englisch-amerikanischen Musikindustrie vertraut sind, wird sich die Chorszene diesen Realitäten bei der Suche nach dem eigenen "Markt" nicht verschließen können. Dabei darf nach Überzeugung der Musikfachleute im DSB der Griff ausschließlich nach der leichten Muse aus den USA nicht die letzte Lösung bleiben. Um mehr zu erreichen, wächst allerdings der Druck auf jüngere Komponisten und Textauto- ren, die Stilmittel und den Schwung der jungen Alltagsmusik mit einzubringen in eine neue Chormusik auch höherer Qualität. Wo derartiges angeboten wird, greifen junge Chorleiter und junge Chöre mit Sicherheit gern zu - möglicherweise übrigens auch mit kommerziellen Vermarktungschancen, die es in dieser Weise für traditionelle "gängige" Chorauftritte nicht gibt.
Auf jeden Fall zeigt das Beispiel aus Obrigheim, was nahezu jeder Chorleiter bestätigen wird, der Ensembles mit unterschiedlichen Generationen unter einem Vereinsdach betreut: Die Jüngeren werden eher abgestoßen von den gängigen Strukturen und Terminzwängen traditioneller Gesangvereine. Sie suchen ein Engagement, das ihnen Zeit und Flexibilität für weitere Freizeitaktivitäten lässt. ....

....Die Zukunft der Chöre erfordert, wie viele wissen, große Anstrengungen und den Mut, "anders" als bisher zu denken und zu agieren. Die Redaktion bittet deshalb noch einmal nachdrücklich: Berichten Sie uns, wenn Sie und Ihr Verein eigene Antworten auf die offenen Fragen gefunden haben. Unsere Reihe mit ungewöhnlichen Chor-Ideen soll möglichst lange weitergehen - und damit die notwendige Diskussion über die Zukunft der Chöre im neuen Jahrhundert.

(aus Lied & Chor, Nr. 4 / 2000 S. 11 - 13)